Wird aus dem Tschad ein zweites Nigerien?

Eveline Lubbers   28.11.1998

Shells neues Image ist unter Beschuß

Shell, in Zusammenarbeit mit Esso und Elf, steht knapp davor, im Tschad neue Ölfelder zu erschließen. Diese Unternehmen werden auch eine 600 Meilen lange Pipeline durch die Regenwälder Kameruns bauen, um zum Atlantik zu gelangen. Dem Vertrag nach zu schließen, der mit der Regierung von Kamerun abgeschlossen wurde, rechnen die Ölkonzerne bei diesem Projekt mit schwerwiegenden Problemen. Dem Abkommen zu Folge wurde Shell und seinen Partnern in "Notfällen, die den Erfolg des Projektes gefährden könnten", unbeschränkte Handlungsfreiheit gewährt. Falls nötig können ihre privaten Sicherheitsdienste auch auf die Unterstützung der regionalen Polizei oder Armee zählen.

Die Weltbank, die in nächster Zukunft entscheiden wird, ob sie das Projekt finanziell fördern wird, hat Bedenken. Die Umweltabteilung der Bank hat mit dem Ökologischen Einschätzungsbericht der Ölkonzerne bereits kurzen Prozeß gemacht. Der Druck und die Auswirkungen auf die Umwelt, bedrohte Arten, und die ansäßigen Bewohner wurden nur sehr skizzenhaft aufgezeichnet, und die Entschädigungen für regionale Landbesitzer muß erst noch festgelegt werden. Die 'Commission for Environmental Impact Assessment' (die auf Verlangen des ehemaligen niederländischen Ministers für Entwicklungshilfe, Jan Pronk, einen Bericht verfaßte) warnt in Anbetracht des Risikos von politischer Instabilität in diesen Ländern vor "Angriffen und Sabotageakten gegen das Projekt". Auf die Frage, ob er befürchte, daß der Tschad sich zu einem zweiten Nigeria entwickeln könnte, antwortete der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm im April 1998 im Parlament kurz und bündig mit "Ja".

Vor erst zwei Jahren hat Shell bei seiner AGM seine neuen Geschäftsprinzipien vorgestellt, die auch einen Verhaltenskatalog in Bezug auf Menschenrechte und Umweltthemen beinhaltete. Hinter diesem recht radikalen Wechsel in der Unternehmenspolitik liegen die Brent Spar Affäre und auch die Kritik, die an Shell für die stillschweigende Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Militärregime geübt wurde. Cor Herkstroeter, Shells damaliger CEO, übernahm in der Debatte über politisch korrektes Unternehmertum die Führung. Offenheit und Dialogfähigkeit würden in Zukunft die Merkmale der neuen Politik sein. Diese glühenden Versprechen wurden von den Friends of the Earth in den Niederlanden mit Zweifeln aufgenommen. Umweltorganisationen unterstützen seit Jahren ihre Partnerorganisationen in Nigeria in ihrem Kampf gegen Shell.

"Die Leute bei Shell haben ihre Kommunikationsweise sehr verändert. Sie sind jetzt viel vorsichtiger", sagt Irene Bloemink von den Friends of the Earth. "'Profite und Prinzipien', der erste völlig umformulierte Jahresbericht von Shell, wurde nur in Holländisch und Englisch herausgegeben. Das gibt einen Eindruck davon, wo Shell seine potentiell gefährlichen Gegner vermutet...".

Möglicherweise waren die guten Absichten Shells nur eine clevere Werbestrategie, um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Es stellt sich die Frage, ob der Ölgigant etwas aus seinen Fehlern in Nigeria gelernt hat. Das neue Projekt im Tschad und in Kamerun, an dem Shell zu 40% beteiligt ist (gemeinsam mit Esso und Elf, die ihrerseits für die restlichen 40%, beziehungsweise 20% verantwortlich sind), scheint bereits von Anfang an schief zu gehen. Den Friends of the Earth zu Folge wurde der Ökologische Einschätzungsbericht zu spät veröffentlicht, nämlich erst Anfang dieses Jahres, als die Probebohrungen bereits liefen, und die Verträge schon seit zwei Jahren unterschrieben waren. Und im März diesen Jahres wurden über 100 Zivilisten bei Unruhen getötet, und zwar zum Großteil von Regierungstruppen, die versuchten, die Kontrolle über den unruhigen Süden des Tschad zurückzugewinnen. Die Separatistenbewegung FARF fürchtet, daß die Gewinne aus der Ölförderung nur dem Präsidentenklüngel im Norden zu Gute kommen werden.

Die Pläne Shells werden in der Zwischenzeit nicht mehr nur von Umweltorganisationen kritisiert. Weil die Niederlande im Aufsichtsrat der Weltbank sitzen und ihre Stimme in diesem Fall zu Gehör bringen wollten, hat die "Commission for Environmental Impact Assessment" die Pläne der Ölkonzerne evaluiert. Das Team von unabhängigen Experten unter dem Vorsitz von Professor Dick de Zeeuw, einem politisch toleranten unentwegten Kämpfer und ehemaligen Präsidenten der Landwirtschaftlichen Hochschule Wageningen.

Ihre Ergebnisse waren ziemlich eindeutig. Der Abschlußbericht der Kommission stellt fest, daß essentielle Informationen fehlen.

"Auf Grund dieses Ökologischen Einschätzungsberichtes können weder das Projekt, noch seine ökologischen Auswirkungen im Gesamten beurteilt werden".

Die Kommission hat auch angemerkt, daß Kamerun und der Tschad arme Länder mit schwachen Regierungsstrukturen sind, die weder politisch noch sozial als stabil gelten können. Der Bericht hätte alle möglichen ökologischen Risiken auflisten sollen, die aus diesen Umständen resultieren könnten. Es ist auch unklar, "wie und wo Einnahmen zur Erleichterung der Armut verwendet werden sollen, und wie das Management der Tantiemen garantiert werden soll". Alle diese Faktoren führen zu einer Situation, in der "in der Infrastruktur des Projektes Voraussetzungen für Angriffe und Sabotageakte gegeben sind. Solche Angriffe werden zweifellos zu beachtlichen ökologischen und sozialen Schäden führen".

Rücksprachen mit regionalen Gemeinden, eine von Shells guten Absichten, erfüllen die Ansprüche, die von der Weltbank erlassen wurden, nicht - ganz im Gegenteil: "die öffentliche Beteiligung fand unter Zuziehung einer Armeeeskorte statt, während das Militär Aktionen gegen Rebellen in der Region durchführte". Die Kommission hat Zweifel erhoben, ob man solche Umstände als ein "geeignetes Umfeld für eine öffentliche Beteiligung" bezeichnen kann. Es gibt sogar Beispiele, in denen die De Zeeuw Kommission die Ökologische Einschätzung als "Schönfärberei" und "Phantasieübung" abtut. Die Behauptungen des Konsortiums bezüglich der angeblichen finanziellen Gewinne des Projektes für die regionalen Gemeinden werden nirgends durch konkrete Zahlen oder Fakten unterstützt. Die Kommission warnt, daß dadurch unter der ansässigen Bevölkerung falsche Hoffnungen entstanden sind.

Aber dieser wenig schmeichelhafte Bericht ist im Vergleich zu dem, was die Weltbank selbst über die Pläne des Konsortiums schrieb, noch als sanft zu bezeichnen. In 65 Punkten haben die Umweltexperten der Bank die ökologischen Berichte des Tschad- Kamerun Projektes vernichtet. Es folgt eine Auswahl von Informationen aus dem Bericht, die die Bank diesen Sommer absichtlich durchsickern ließ: Die Ökologischen Einschätzungsberichte "bieten keine adequate Basis für die Einstufung des Projektes durch die Weltbank". Es bleibt unklar, wie die Wahl für den Verlauf der Pipeline getroffen wurde. Die Bank verlangt eine detaillierte Aufschlüsselung der Kritierien, die darauf Einfluß hatten, und möchte auch wissen, ob eine 'No-Project' Alternative jemals ernsthaft in Erwägung gezogen wurde.

Die Bank fragt sich auch, ob Überlegungen bezüglich der möglichen Auswirkungen des Baus einer Pipeline in direkter Linie zum Atlantischen Ozean unter Berücksichtigung der einheimischen Pygmäenbevölkerung, des archeologischen Erbes, und der biologischen Vielfalt des Regenwaldes angestellt wurden. Das Ölprojekt wird Arbeitssuchende von außen in eine Region ziehen, in der schon ein limitierter Zuwachs einen weitreichenden Einfluß auf die Lebensweise der einheimischen und regionalen Bewohner haben könnte. Und: "Der Bericht zeigt die kritischen Einstufungsbereiche für die Berechtigung zum Bezug einer unfreiwilligen Umsiedlungsbeihilfe nicht deutlich auf", sagt die Weltbank. "Umsiedlungsbeihilfen für Betroffene, auch für den Fall, daß sie die Alternativen zur Umsiedlung wählen, müssen genauestens aufgelistet werden". Der Plan muss noch weit spezifischer sein, um größere Probleme zu vermeiden. Wird den Betroffenen genug Zeit gelassen, um die Entscheidung zu treffen? Wo die Gelder für die Entschädigungen herkommen sollen, und wie die versprochene "Hilfe" ausschauen soll, bleibt ungeklärt.

Außerdem hat das Konsortium eine Versammlung von unabhängigen Beobachtern einberufen, die die Regierung des Tschad bei Problemen mit dem Umsiedlungsplänen "beraten" werden. "Das scheint das Fehlen jeder Verantwortlichkeit seitens des Konsortiums zu implizieren, Probleme, die in Zusammenhang mit dem Projekt entstehen, zu lösen", kommentiert die Bank trocken und verlangt, daß "die jeweiligen Verantwortlichkeiten der Regierung des Tschad und des Konsortiums vereinbart und detailliert in den Plan aufgenommen werden."

Für die Ölkonzerne ist die Relevanz eines Kredites bei der Weltbank hauptsächlich politischer Natur. Er deckt nur einen kleinen Teil der Mittel, die für ein Projekt dieser Größe mobilisiert werden müßen. Aber mit der Ermächtigung der Weltbank wird es natürlich leichter, weitere Investoren zu finden. Die Entscheidung der Weltbank wurde bereits mehrmals vertagt. Und bei der letzten Sitzung der Bank im September in Washington haben Umweltorganisationen draußen protestiert, während die Ölkonzerne ein Team von nicht weniger als 100 Lobbyisten aufboten, um die Bank von ihren guten Absichten zu überzeugen.

Dem Ölkonsortium liegt nicht viel an den Sorgen der Umweltschützer. Irene Bloemink von Friends of the Earth: "Elf schweigt absolut. Esso sagt, es wird erst dann reagieren, wenn die endgültigen Ökologischen Einschätzungsberichte vorliegen. In der Zwischenzeit werden aber sämtliche Beteiligte mit vorläufigen Versionen dieses Schlüßeldokumentes bombardiert". Shell ist ein ganz besonderer Fall. Seit diesem Sommer läuft der offene Dialog zwischen dem Konzern und den Friends of the Earth in den Niederlanden auf Sparflamme. Während Shells CEO für den Tschad den Friends of the Earth im April noch sagte, daß sich das "Projekt im Tschad in Übereinstimmung mit den Auflagen der Weltbank befindet", und noch hinzufügte: "aber wenn sie Einzelheiten finden, mit denen sie nicht zufrieden sind, kommen sie zu uns", beschränkt sich der Dialog jetzt, wo die Umweltschützer Unterstützung aus unabhängigen Vierteln bekommen haben, auf höfliche Briefe, die die Zusendung von Material zur Kenntnis nehmen.

Im Tschad wurde Anfang Juni ein Parlamentsmitglied festgenommen, das gegen das Ölprojekt ist. Ngarledgy Yorongar verlor seine diplomatische Immunität und wurde in der Zwischenzeit wegen "Verleumdung des Staates" zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Da seinen Anwälten der Zugriff auf relevante Akten verweigert wurde, lehnten sie seine Verteidigung aus Protest ab. Die De Zeeuw Kommission merkt auch an, daß Protest gegen das Ölprojekt in Kamerun damit zum Verschweigen gebracht wurde, daß er als Opposition gegen nationale Interessen interpretiert werden würde.

Bis vor kurzem waren nur wenige Details über den Vertrag zwischen den Ölkonzernen und den Regierungen beider Länder bekannt. Friends of the Earth haben aber durch verbündete NGOs kürzlich entdeckt, daß die offizielle Vereinbarung im Tschad und in Kamerun bereits ratifiziert wurde (die Vereinbarungen wurden als Gesetz im Statute Book, dem offiziellen Nachrichtenblatt - Cameroon Law no. 97-16 veröffentlicht). Das Konsortium hat damit eigentlich die carte blanche erhalten. Der Abschnitt, in dem Shell und seinen Partnern die Erlaubnis erteilt wird, als para-militärische Organisation zu agieren, ist zwar umständlich formuliert, aber eindeutig in der Aussage. Dem Konsortium wird volle Autorität eingeräumt, jede Situaton zu untersuchen, die das Projekt "unmittelbar gefährden" könnte. Die Öl-Polizei hat "in alleiniger Verantwortung und ohne vorherige Autorisation Zutritt zu jedem privaten oder öffentlichen Grundstück", um der Bedrohung ein Ende zu machen. Falls nötig kann mit der Unterstützung der lokalen Polizei, Armee oder sonstiger Sicherheitsdienste gerechnet werden. Genauere Definitionen solcher Begriffe wie "untersuchen" oder "unmittelbare Bedrohung" werden nicht geliefert.

In nächster Zukunft muß Herr Wolfensohn, der Präsident der Weltbank, die Haltung der Bank in Bezug auf das Pipeline Projekt festlegen. Die endgültige Entscheidung bezüglich des gesamten Projektes wird Anfang nächsten Jahres erwartet. Nach realistischen Einschätzungen würde es mindestens zwei Jahre dauern, alle Fragen zu behandeln und zu beantworten, die der Bericht des Umweltteams der Bank aufgeworfen hat. Irene Bloemink erkärt, warum der Einfluß der Weltbank von größter Wichtigkeit wäre. Auch wenn der Kredit der Weltbank nur für die Pipeline und die Erschließung eines einzigen Ölfeldes im südlichen Tschad beantragt wurde, lassen die vorgeschlagene Vertragsdauer und die Schätzungen der geplanten Ölfördermengen erwarten, daß mehr Ölfelder in der Region erschloßen werden sollen. Das war auch eines der Ergebnisse, zu dem die CEIA kam. Irene Bloemink: "Die kumulativen Folgen der potentiellen Verschmutzung in einem weit größeren Gebiet sind überhaupt noch nicht untersucht worden".

Den neuen Geschäftsprinzipien entsprechend erwartet Shell heutzutage von seinen Mitarbeitern einen bestimmten Grad von Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft im Gesamten. Neben einer Unterstützung von grundlegenden Menschenrechten und Werten, beinhaltet dies auch "Standards für öffentliche Gesundheit, Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen, die mit der Absicht übereinstimmen, zu einer aufrechterhaltbaren Entwicklung beizutragen". Ob es sich dabei nur um Öffentlichkeitswerbung handelt, wird man bald sehen. Friends of the Earth hat eine internationale Kampagne unter dem Motto "Laßt den Tschad nicht zu einem zweiten Nigeria werden" gestartet. In den Niederlanden hat die Progressive Green Party im Parlament bereits Fragen zu der ziemlich weitreichenden Entscheidungsgewalt gestellt, die von dem Konsortium auf fremdem Boden ausgeübt wird. Aber Shell schiebt alle unangenehmen Fragen an seinen Partner Esso ab. Essos Projektmanager hat keine offizielle Haltung zu der weitreichenden Kritik. "Das Konsortium versucht, die Fragen der Weltbank durch das Zurverfügungstellen von neuem Material zu beantworten, das ist ein fortlaufender Prozeß".


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