Der Europäische Ministerrat lehnte ab, einen
Bericht zu veröffentlichen... über das
Veröffentlichen von Dokumenten.
Die
Europäische Union solle transparent werden,
versprachen die Regierungschefs 1992. Um die
Verwaltung bürgernaher zu machen, sollte ein
Verhaltenskodex den Zugang der Öffentlichkeit
zu Dokumenten des Europarats erleichtern. Nach
zwei Jahren wurde die Praxis vom
Generalsekretariat des Ministerrats der
Europäischen Union evaluiert.
Dieser Auswertungsbericht war bereits im Juli fertig, wurde aber erst Ende Oktober freigegeben - nach verschiedenen Anträgen auf Einsichtnahme. Anfangs wurde der Bericht auf Antrag Frankreichs und der Niederlande als vertraulich eingestuft. Die (Niederländische, Anmkg.) Grüne Linke fragte den Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Patijn nach dem Grund. Die Antwort kam postwendend Mitte November und ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Niederlande halten den Tenor dieses Berichts für diskutabel. Überdies enthält er Empfehlungen, die im Grunde auf eine weitere Beschränkung des Zugangs zu Dokumenten hinauslaufen. Am liebsten hätten die Niederlande den Bericht hinter verschlossenen Türen debattiert, aber nach drei Monaten erwies es sich als unvermeidlich, ihn der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Niederlande verlangten dann, es müsse deutlich gemacht werden, daß der Bericht ganz Sache des Generalsekretariats sei und nicht die Meinung der Mitgliedstaaten wiedergebe.
Aufgrund des Verhaltenskodex unterliegen alle Zusammenkünfte des
Ministerrats der Geheimhaltung, Tagesordnung und Sitzungsprotokolle
eingeschlossen. Seit dem Vertrag von Maastricht gleicht Europa immer
mehr einem eigenen Staat. Die Europäische Union (EU) beschäftigt sich
mit Verteidigung, auswärtigen Angelegenheiten, Immigration und
Asylpolitik. Die Angleichung der Polizei- und Justizpolitik, heimlich
vorbereitet in den Verhandlungen von Trevi und Schengen, fällt seit
Maastricht ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der EU.
Diese zweite
und dritte Säule der EU funktionieren zwischen den Regierungen: die
nationalen Regierungen (vertreten im Ministerrat) schließen Verträge
miteinander, auf die niemand Einfluß nehmen kann, auch nicht die
Parlamente.
Der Verhaltenskodex bietet alle Möglichkeiten, Beschlüsse,
die ohnehin ohne jede demokratische Kontrolle gefaßt wurden, der
Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Die Kontrollierbarkeit der
Beschlußfassung nimmt damit weiter ab. Eben jetzt, da sich die EU wie
ein europäischer Staat verhält, ist es von großer Wichtigkeit, den
demokratischen Gehalt der Union genau im Auge zu behalten. Die
Bereitschaft, Unterlagen auf Anfrage Journalisten und anderen
interessierten Bürgern zugänglich zu machen, ist dafür ein guter
Maßstab.
Die Evaluierung des Verhaltenskodex durch den Ministerrat
macht wenig Hoffnung.
Der Bericht erlaubt einen kleinen enthüllenden Blick hinter die
Kulissen der für den Zugang der Öffentlichkeit verantwortlichen
europäischen Beamten.
In der Zeit von 1994 bis 1995 erhielt der
Ministerrat 142 Anträge auf Einsichtnahme in insgesamt 443 interne
Akten. Das Generalsekretariat klagt über das Maß an Arbeit, welche die
Anträge verursachen, zumal wenn Fragen ungenau formuliert sind. Der Rat
tendiert dazu, Anträge auf alle Vorbesprechungen zu einem
Gesetzesentwurf X oder alle Änderungsanträge für Artikel Y nicht zu
beraten. Daß der Antragsteller schwer gezwungen werden kann, mehr
Einzelheiten anzugeben, wenn er nicht weiß, welche Akten verfügbar
sind, erkennt der Rat als Problem an. Die Frage nach näherer
Spezifikation darf nicht als Ablehnung des Antrags aufgefaßt werden,
rät der Bericht.
Als besondere Schwierigkeit kommt hinzu, daß der
Verhaltenskodex sich auf alle Dokumente des Rats bezieht (im Bericht
doppelt unterstrichen), auch auf vorbereitende Akten, die gar nicht zur
Beschlußfassung führen. Großen Umstand macht auch das
Berufungsverfahren.
Die Zeit und Manpower, die investiert werden
müssen, um Experten, Botschafter und betroffene Minister zu
konsultieren, ist fürchterlich außer Kontrolle geraten. Exzessiv sogar,
der Begriff taucht verschiedene Male auf. Der Zugang zu 156 Dokumenten
wurde bis in die letzte Instanz abgewiesen. Der Verhaltenskodex bietet
dazu eine Vielfalt von Ablehnungsgründen an, zum Beispiel eine Berufung
auf das allgemeine Interesse, die Privatsphäre Betroffener oder die
Wettbewerbsklausel. Aber in beinahe der Hälfte aller Fälle wurde die
Einsichtnahme schlichtweg abgelehnt, um die Vertraulichkeit der
Beratungen des Rates zu schützen.
Mit anderen Worten: ein Dokument ist
geheim, weil es schon geheim war, und daher bleibt es geheim.
Wohin das in der Praxis führen kann, erfuhr die Zeitschrift der
schwedischen Journalistengewerkschaft. Die Redaktion forderte in
Brüssel und in Stockholm zwanzig Dokumente über Europol an, den
Zusammenschluß europäischer Polizeiapparate.
Der Unterschied zwischen
dem europäischen Recht auf Zugang zu Informationen und dem viel
gerühmten schwedischen Recht auf freien Zugang zu Regierungsdokumenten
wurde schnell deutlich. Achtzehn der zwanzig Dokumente könnten, so die
schwedischen Behörden, problemlos zugänglich gemacht werden. Der
europäische Ministerrat kam nur auf zwei, und nach einem Protest auf
noch zwei weitere.
Da jedermann das Recht hat zu erfahren, was Europol
vor hat, legten die Journalisten beim europäischen Gerichtshof gegen
die Ablehnung, die übrigen Unterlagen zugänglich zu machen, Berufung
ein. Das Verfahren läuft noch, aber der Evaluierungsbericht nimmt
derweil eine Entscheidung voraus. Der Verhaltenskodex würde
überflüssig, wenn, entgegen den Beschlüssen des Rats, jedermann via
einer Behörde Dokumente erhalten könne, behauptet das
Generalsekretariat. Das kann nicht so ohne weiteres gehen.
Pikantes Detail: Der schwedische Verband investigativer Journalisten setzte die Ablehnung des Ministerrats auf seine Web-Site, und das kam nicht gut an. Der Gerichtshof stand auf der Seite des Rats und drohte, die Behandlung der Sache einzustellen, wenn die Dokumente nicht aus dem Internet entfernt würden. Daß die Journalisten nichts mit diesem Website zu tun hatten, wurde dem Gerichtshof erst klar, als alle Verweise auf die Journalistengewerkschaft (ihr Logo und der Aufruf zu finanzieller Unterstützung) entfernt waren. So konnten die umstrittenen Dokumente und die Ablehnung des Rats - nach schwedischem Recht öffentliche Unterlagen - weiter dort liegen.
Beim Europarat ist man solchen Leuten nicht wohlgesonnen. Der
Evaluierungsbericht spricht mit kaum verhohlener Irritation über das
Problem der Anträge, die als übertrieben erachtet werden können oder zu
unverhältnismäßig hohen Kosten führen. Seite 9: Der Charakter einiger
Anträge läßt vermuten, daß es darum geht, an die Grenzen des Systems zu
kommen. Ein Antragsteller allein war für 14 Anträge verantwortlich, die
auf mehr als 150 Dokumente Bezug nahmen, das heißt, unterstreicht das
Schriftstück, für mehr als ein Drittel der gesamten Dokumente aller
anderen Antragsteller zusammen.
Das müsse verboten werden, findet das
Generalsekretariat, das die Auswertung erstellte, dazu haben wir weder
genug Geld noch Personal. Die Menschen müßten zukünftig einen Grund
angeben, warum sie bestimmte Dokumente einsehen wollen. Offensichtlich
übertriebene Anträge auf Einsichtnahme können dann unter Verweis auf
diesen Grund zurückgewiesen werden.
Mit dem häufigen Antragsteller ist Tony Bunyan gemeint, Redakteur des
englischen Bürgerrechts-Bulletins
Statewatch. Wenn jemand legitime Akteneinsicht beantragt, dann er. Alle internen Akten,
welche Bunyan über Verfahren erhält, stehen zusammengefaßt und mit
Kommentar versehen in Statewatch. Es bietet einen breiten Überblick
über die Einschränkungen des europäischen Bürgers, besonders auf dem
Gebiet der Justiz und der inneren Angelegenheiten (der sogenannten
dritte Säule).
An Tony Bunyan sind die zusätzlichen Hindernisse, wie
sie der Auswertungsbericht vorsieht, verschwendet. Er kennt den
Widerstand aus der Praxis wie kein anderer und läßt sich dadurch nicht
abhalten. Der Kampf gegen Geheimhaltung ist kein Ziel an sich. Er ist
ein Mittel, um Beschlüsse an die Öffentlichkeit zu bringen, die jeden
in Europa betreffen.
Um herauszufinden, wie die europäische Asylpolitik
genau funktioniert, beantragte Bunyan beim Ministerrat 65 Dokumente. 27
Akten durfte er einsehen, mußte jedoch nach Brüssel fahren und selbst
für die Kopierkosten aufkommen. Nach einer Beschwerde wurden zwölf
weitere Dokumente freigegeben. Die übrigen Akten blieben geheim, um die
nationalen Positionen der Mitgliedsstaaten zu schützen, laut Bunyan
eine Möglichkeit, um Ansichten von Minderheiten in bestimmten
Diskussionen hinter verschlossenen Türen zu halten. Einen kleinen Sieg
hat er jedoch errungen. Seit Juni muß der Statewatch-Redakteur nicht
mehr zur Einsichtnahme in freigegebene Dokumente nach Brüssel reisen.
'Nachdem ich zweimal nach Belgien gereist war, wurde klar, daß die Abschreckungstaktik nicht funktionierte. Fortan wurden mir die Akten nach Hause geschickt, mit der Rechnung.' Tony Bunyan
Unter Berufung auf den Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen sind
tatsächlich alle Zusammenkünfte des europäischen Ministerrats
geschlossene Veranstaltungen. Das erstreckt sich auf die Termine, die
Protokolle und das Wahlverhalten der Mitgliedstaaten. Aber auch die
meisten Dokumente, die diskutiert werden, sind nicht öffentlich, und
manchmal werden sogar die endgültigen Vereinbarungen von Regierungen
untereinander nicht bekannt gemacht.
Das niederländische Parlament hat
allerdings bei der Ratifizierung des Schengener Vertrags eine
Ausnahmebedingung gestellt. Die Regierung darf Beschlüssen in der
dritten Säule ohne Konsultation des Parlaments nicht zustimmen. Daher
erhalten Parlamentarier der zweiten Kammer doch Einsicht in geheime
Akten, wenn auch auf vertraulicher Basis.
Wie wenig das in der Praxis
bedeutet, zeigt sich in der Beschlußfassung über Europol, dem
Zusammenschluß europäischer Polizeiapparate. Der Entwurfsvertrag war
geheim, die Parlamentarier, die ihn einsehen durften, hatte jedoch ihre
Zweifel. Sie stellten strenge Anforderungen: es gibt keinen Vertrag und
keine Erweiterung der Zuständigkeiten, solange die kontrollierende
Rolle des europäischen Gerichtshofs nicht geregelt ist. Zudem sollen
Bürger zu europäischen Datenbanken Zugang haben, um Daten, die über sie
gesammelt wurden, korrigieren zu können.
Bevor etwas fixiert war,
startete bereits die Europäische Drogeneinheit (European Drug Unit,
EDU), als Vorläufer von Europol. Achtzig Menschen sind in Den Haag mit
Informationsaustausch und strategischer Analyse beschäftigt, ohne daß
klar ist, was genau unter diesen Bereich fällt.
Der Vertrag wurde
schließlich im Sommer des vorigen Jahres unterzeichnet; die
Ratifizierung durch die verschiedenen Parlamente der Mitgliedsländer
soll Ende 1997 abgeschlossen sein, hofft der niederländische
Justizminister.
Die Befugnisse der EDU wurden inzwischen auf
Menschenschmuggel, illegale Einwanderung, Autodiebstahl und
Nuklearkriminalität ausgedehnt. Kürzlich kam dazu noch die Koordination
des Kampfes gegen Kindesmißbrauch. Die Rolle des Gerichtshofs ist noch
immer nicht festgelegt.
Die Rolle der Parlamente wurde auf die Ratifizierung von Verträgen
reduziert. Auf das Zustandekommen eines Vertrags haben sie keinerlei
Einfluß. Parlamentsmitglieder wissen kaum, was im europäischen
Zusammenhang besprochen wird, behauptet Tony Bunyan.
Eben deshalb ist
es, so der Statewatch-Redakteur, sinnvoll, Termine und Protokolle
anzufordern, um Einsicht in den Ablauf der Beschlußfassung zu erlangen.
Leicht ist das nicht.
Im Februar dieses Jahres forderte Bunyan die
Protokolle des K4-Komitees an, welches die Behörde auf dem Gebiet der
Immigration und Asylpolitik und der juristischen Zusammenarbeit
koordiniert. Er beantragte die Protokolle von 14 Zusammenkünften und
erhielt fünf. Aus der Antwort auf sein Protestschreiben ist zu ersehen,
daß der Ministerrat davon ausging, daß sein Antrag auf die Protokolle
des K4-Komitees mit einem früheren Antrag auf die Termine der
Zusammenkünfte identisch war. Der Rat blieb bei seiner Ablehnung.
Was
im Brief nicht stand, war, daß der Ministerrat über diesen Beschluß
uneinig war. Die Arbeitsgemeinschaft Informationspolitik, in der die
Sprecher der 15 permanenten Vertreter sitzen, tagten fünf Stunden über
Bunyans Antrag auf Zugang. Sogar die Kommission der permanenten
Vertreter, COREPER, welche die Sitzungen des Rats vorbereitet, widmete
der Diskussion der Angelegenheit zwei Stunden. Sie wurde zum Testfall
des Prinzips größerer Offenheit, wobei Frankreich, Belgien und Spanien
sich besonders gegen die Aufhebung von Geheimhaltung wandten. Der
Vorschlag, alle Protokolle freizugeben, wurde schließlich mit acht
gegen sieben Stimmen abgelehnt. Dafür waren Dänemark, Irland,
Griechenland, die Niederlande, Finnland, Schweden und England.
Tony
Bunyan reicht Ende November fünf Klagen beim europäischen Ombudsman
gegen die Zugangsregelung des Ministerrats ein.
Wer die Vorschläge des Generalsekretariats nacheinander betrachtet, muß
den Schluß ziehen, daß es mit der Transparenz des Ministerrats traurig
bestellt ist. Die Zeitspanne von einem Monat für eine Antwort des Rats
auf eine Berufungseingabe soll verdoppelt werden. Das bedeutet eine
Wartezeit von mindestens vier Monaten für eine Akteneinsicht oder
Ablehnung.
Eine öffentliche Behörde braucht genug Personal und ein
angemessenes Budget, um dafür zu sorgen, daß Menschen innerhalb eines
vertretbaren Zeitraums eine Antwort erhalten. Das sollte die Grundlage
des Verhaltenskodex sein. Ein Vorschlag ist im Evaluierungsbericht zu
finden, der zu einem transparenteren Zugangsverfahren beiträgt, und der
ist dann auch sehr vorsichtig formuliert. Die Möglichkeit, Zugang zu
einem Verzeichnis der Ratsdokumente zu erhalten, sollte erwogen werden
können.
Staatssekretär Patijn hat versichert, daß die Niederlande sich
dafür einsetzen wollen. In Schweden existiert bereits ein solches
Verzeichnis, auch von europäischen Dokumenten, und es kann per Computer
eingesehen werden. Das geht, weil für die schwedischen Behörden das
eigene Recht auf Zugang zu Informationen mehr wiegt als die
europäischen Regelungen.
Die Niederlande sollten sich daran ein
Beispiel nehmen. Im Maastricht-II-Vertrag müssen wieder Garantien zur
Transparenz der Europäischen Union gegeben werden. Schweden will
weitergehen, und das Recht auf Zugang zu Dokumenten mit einer
Verpflichtung zur Verschaffung von Information in den Vertrag der
Europäischen Union aufnehmen. Ende November legte das Rathenau-Institut
dem niederländischen Parlament ein Gutachten vor. Zentrale These: die
Regierung ist verpflichtet, jedem, der darum ersucht, Information in
elektronischer Form zur Verfügung zustellen, zu einem möglichst
niedrigen Preis und in einer verständlichen Form.
Warum also legen die Niederlande das Verzeichnis europäischer Dokumente nicht ins Internet? Dieser Schritt würde die Europäische Union ein Stück transparenter und bürgernäher machen. Darüber hinaus würde es einen wirklichen Beitrag zu einem Europa ohne Grenzen leisten.
Information auf dem Internet in der schwedischen Europol-Angelegenheit
Datenbank von Statewatch